15 November 2005

S-Bahn

Ich bin ein glücklicher S-Bahn Fahrer, zumindest sage ich das solange bis ich mir ein echtes Auto leisten kann. Die S-Bahn bringt mich in Berlin an jeden Ort und das auch noch in einer akzeptablen Zeit. Doch das Schönste an der S-Bahn sind die freundlichen Menschen die man kennen lernen darf.

Ich bin auf dem Weg zu meiner Arbeit in der Uni, die S-Bahn ist mäßig besetzt, die Gesichter der Menschen sind offen und freundlich. Doch das Glück ist mir hold, ein Philosoph wünscht mit uns zu reisen. Ein unrasierter Herr Mitte Vierzig, geschmackvoll in eine abgerissene lila Jacke gehüllt, das Harr fettig und zerzaust der Mund fast frei von der Last der Zähne. So sitzt er glücklich in seinem Viererabteil und beginnt uns an seinen Weisheiten teilhaben zu lassen. Er ist ein Philosoph, ein gebildet Mann, das erkennt man sofort. In seiner rechten Hand hält er ein kleines Gefäß gefüllt mit dem Wasser aus der Quelle der Weisheit, ein Flasche Bier, man erkennt den Schriftzug 'Lidl'. Oha denke ich mir, der Mann hat Geschmack.
Klar und deutlich artikuliert strömt die erste Weisheit in mein wissbegieriges Ohr.

'Ick sachs dir, jestern sachte se noch se liebt mich. Und jetzte, jetzte tut se so als ob sie mich nich kennen würde die Olle. Dabei hab ick noch jesacht, ick will dich für immer haben. Aber so sind se die Frauen..'

Natürlich sieht er dabei niemanden direkt an, denn er möchte uns alle teilhaben lassen an seinen gesammelte Werken und niemanden ausschliessen. Recht hat er denke ich, genau so sind sie die Frauen, sobald man ihnen nüchtern die Liebe gesteht kennen sie einem in trunkenen Zustand nicht mehr. Doch damit war es nicht genug, er setzte zu seinem nächsten intellektuellen Schlag an, gespannt hoffte ich soviel wie möglich von seiner Erfahrung und Genialität profitieren zu können.

'Ditt ist doch alles Scheisse. Weesste imma triff ditt uns, ick hab meen Leben lang jeschuftet und jetzte hab ick nüscht. Es trifft imma deen kleenen Mann. Und weesste warum?'.

Er war ein geübter Rhetoriker, das war klar zu erkennen, geschickt hatte er in seinen Leben eingeführt und den Spannungsbogen mit einer unglaublichen Raffinesse aufgebaut, ich konnte kaum erwartet warum es denn nun den kleinen Mann getroffen hatte. er musste es wissen, denn er war klein. Was wusste der kleine Mann mir zu sagen, von dem ich noch nicht einmal ahnte, dass ich es gern wissen wollte. Er war kein Anfänger, denn anstatt die Antwort zu geben, machte er eine spannungsgeladene Pause, in der er einen weiteren Schluck von seinem goldenen Gerstensaft nahm. Was war es, dass den kleinen Mann so traf? Ich wartete. Langsam und zäh liess er seine Worte in das gefüllte Abteil klingen.

'Die Großen, weeste, gie Großen. Die nehmen allet weg und arbeiten ditt nur in die eigene Tasche. Und keener macht watt.'

Es traf mich wie der Schlag, natürlich wenn es einen kleinen Mann gab, dann musste es auch einen Großen geben und wenn es dem kleinen Mann schlecht geht, dann musste es dem Großen gut gehen. Immerhin nahm er ihm alles weg. Genial. Bange fragte ich mich, ob ich es von dem Kleinen nahm oder mir von den Großen alles genommen wurde. Vielleicht wusste er es mir zu sagen, doch leider erblickte ich schon das Stationsschild, S-Bahnhof Adlershof, ich musste leider aussteigen. Anerkennend nickte ich beim Verlassen des Abteils in die Richtung des Denkers, doch der große Geist blickte mit verschleiertem Blick gedankenversunken aus dem Fenster, beschäftigt mit dem nächsten großen Gedanken der bewältigt werden musste.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Links zu diesem Beitrag:

Link erstellen

<< Home