18 Juli 2006

4. Auf der Spur [ImBL68]

Ich musste handeln. Es war soweit, meine Gedanken kreisten wie wild, es gab kein Entrinnen mehr, ich musste handeln. Es gab keinen Zweifel, keine Unsicherheit, ich musste handeln. Ja, das musste ich wohl - handeln. Meine Gedanken kamen mir inzwischen etwas merkwürdig vor, wie oft hatte ich mich schon zum handeln versucht zu animieren? Ich versuchte es zu zählen, in Worte zu fassen, greifbar zu machbar. Bei der Zwei angekommen versagte ich. Sehr gut Ronny, wenigstens das gelingt dir nicht. Wütend spuckte ich etwas von der braunen Brühe - die zwischen meinen Zähnen sich gesammelt hatte und nunmehr einen zähen braunen Schleim bildeten - vor mir auf eine kleine Ameise. Das arme Tier versuchte sich verzweifelt vorwärts zu bewegen, seine kleinen Beine emsig bewegend schwamm es auf dem dunklen Sud. Ein Lächeln überzog mein faltiges Gesicht, bereitete mir doch der Gedanke, es wäre diese lüstern unverschämte Nachbarin, viel Freude. Gekonnt zertrat ich sie mit meinen ergonomischen Sandaletten von Eco. Schade, es war nur die Ameise, aber die Lustgreisin würde ich mir auch nur zur Brust nehmen. Da kannte ich nichts, denn ich kannte mich und wusste was ich von mir zu erwarten hatte.

Für mich völlig erwartet kam mir der Gedanke an einen Zuckerbonbon. Nun stand die Frage im Raum: 'Was tun?'. Eines war sicher, Renate könnte meine Mutter sein, auch wenn es nicht sicher war. Damit aber nicht genug, die Hühnertasche wie auch der Schmock daran waren weg, nur das dämliche Huhn war mir geblieben. Ein schwacher Trost. Was würde wohl mein Vater dazu sagen? Er war immer ein sehr resoluter Mann gewesen, ein Mann voller Tatendrang und einer bestimmenden Hand. Er pflegte immer zu sagen: 'Das Weib verlangt nach einer strengen Hand und gefälliger Züchtigung.' Recht hatte er, wenn ich mir diesen runzligen Haufen Lust ansah. Aber das war nicht die Lösung, Schmock galt es zu finden. Er war vor einiger Zeit bei mir und ich hatte ihn unterschätzt. Zumindest hatte er das gesagt, was meinte er damit nur? Ich stieg in mein Auto und steckte den rostigen Zündschlüssel in das dazugehörige Loch. Der Motor keuchte und stotterte, nach einigen Minuten gab er nach und sprang an. Ich hatte 100km, nicht viel für eine Verfolgung, aber genug für mich als versierter Mann. Nur wohin zuerst? Ich warf einen Blick auf meinen kleinen Hund auf dem Armaturenbrett. Hässlich, zweifelsohne, aber ein treuer Wegbegleiter und er nickte mir permanent zu. Ein Geschenk von Renate, vor einigen Jahren. Verpackt in einer braunen Tüte aus Papier. Ich war glücklich, bin es heute noch. Ronny! Mich durchfuhr ein Schreck, meinen Gedanken waren wieder einmal mit mir durchgegangen. Verdammt. Ich fuhr im Schritttempo über den heissen, schwarzen Asphalt. Diese unsägliche Hitze, als ob Schmock nicht schon genug gewesen wäre. Nun das auch noch.  Mit geübten Blick taxierte ich die Reihenhäuser links und rechts des Straßenrands. Hier war meine Gegend hier kannte ich mich aus. Freundlich nickte ich dem alten Klaus zu, er beschnitt wieder einmal seine Kakteen. Der Familien Ustermann gönnte ich ein Lächeln dazu, ich mochte die beiden kleinen Mädchen. Sie spielten meist im Garten Fange, zumindest sah es für mich so aus. Aber nirgends eine Spur von dem verruchten Schmock. Ich kam an die erste Kreuzung, Lochhalsstrasse Ecke Nhungasse, links oder rechts? Oder doch geradeaus, Schmock war schon immer ein begeisterter Anhänger dieser linksliberalen Fanatiker gewesen. Also links. Auch ging es dort zum Hauptbahnhof, das erschien selbst mir logisch. Ich hatte nun schon fast 90 Meter hinter mir, als ich links am Straßenrand eine junge Dame sah, die sich nach etwas bückte. Langsam rollte ich an sie heran als ich sah was es war. Mit einem leisen Stottern stoppte ich den Wagen abrupt und stürzte mich auf die Frau. Sie schrie auf, ich keuchte, sie wollte nicht nachgeben, doch ich meinte leise: 'Lassen sie sie sofort los, es ist das Beste für sie.' Sie war eine Komplizin von Schmock, das stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Diese kleinen verschlagenen Augen, dieser fliehend, gehetzte Blick. Es lag auf der Hand. Zumal sie sich auffällig aufreizend gebückt hatte, das macht doch keine normale Frau. Sie sah mich mit einem Blick voller Angst an und gab sie frei. Ich runzelte meine Stirn und kniff die Augen zusammen, da war sie also. Nur warum hatte Schmock sie zurückgelassen. Mitten auf der Straße? Wer war die Frau? Was ist mit meinem Auto? Was ist mit Ronny? Fragen über Fragen.

Aber ich hatte sie in meiner Hand, die Hühnertasche.

Willkommen in der Metropolenregion Rhein-Neckar

So war es zu lesen in der hiesigen S-Bahn. Nur was ist die hiesige S-Bahn, welche Metropolen und warum schreibt der kon schon so lang nicht mehr?

Nun alles der Reihe nach, zuerst hat es den unglaublichen kon in die Weltstadt Heidelberg verschlagen. Eine Sündenpfuhl und Schmelzkessel sondergleichen. Eine Stadt voller junger Studenten und hoffnungsvoller Menschen. Aber auch eine Stadt der hohen Mieten und unglaublichen Preise. Bekommt man in Berlin ein luxuriöses Penthouse zu einem erschwinglichen Preis, so ist es in Heidelberg eine Besenkammer nebst sympathischer Schaben als Mitbewohner. Im Grunde nicht schlecht, vertreiben sie einem doch die Zeit. Nicht nur als geduldige Gesprächspartner, sondern auch als Spielgefährten und Leidensgenossen. Aber mir waren die Schaben nicht genug, ich wollte Menschen. Sicher, der ein oder andere wird nicht ganz verstehen, warum nun gerade Menschen - zugegeben ich auch nicht. Doch es haben sich ein netter Surfer und eine eloquente Modedesignerin angenommen und ertragen meinen Redeschwall, wie auch meine völlig frei erfundenen Geschichten mit einer unglaublichen Ruhe und Geduld. Die Wohnung an sich befindet sich in dem konservativen Villenviertel der schön, beschaulichen Stadt Heidelberg und der Anteil der schwarzen Wähler überwiegt. An sich kein Grund zu trauern, wäre da nicht ein Manko. Die Stadt ist klein, man kann etliche Wege zu Fuß zurücklegen, im Grunde alle. Bus und Straßenbahn sind kaum erforderlich - komisch. Auch die Menschen auf der Straße sind vor allem des Nachts zählbar, meist zwischen vier und acht. Doch zurück zur Wohnung, jemand meinte zu mir im Süden wären die Wände aus Pappe, das Wasser vergiftet und man heiratet früh, um gleich auch einmal Kinder zu zeugen wenn man schon dabei ist. Nebenbei huldigt man noch sektenartig einem gewissen 'Gott', nennen sich dann Katholiken diese Leute. Man frage mich nicht was es damit auf sich hat, ich als überzeugter Atheist mit dem Hang zum Agnostiker gebe nicht viel auf diese Götzenanbetung. Aber wieder einmal zurück zu der Wohnung, der Boden ist mit einem hellen, freundlichen Parkett ausgelegt und in der Küche ergibt sich ein Steinboden dem südlichen Flair. Doch damit nicht genug, die Toilette, Hort der Stille und Ruhe ist leicht verstopft und der Spülvorgang ist mit längerem Warten - zumindest manchmal - verbunden. Es gibt also noch eine Toilette und dazu kostenlos eine Waschmaschine und auch eine Spülmaschine. Was will man eigentlich mehr? Arbeiten natürlich. Dazu fährt man mit der besagten S-Bahn von Heidelberg nach Walldorf, um dann dort wiederum den Bus zu nehmen. In der S-Bahn selbst fahren neben schläfrigen Pendlern auch junge Menschen - ich. Die S-Bahn, bei uns in Berlin würde man sie wohl Regionalbahn nennen, transportiert auch Werbung durch die Gegend. Hier fiel mir ein Schild sofort in die Augen, vier vorgeblich junge Menschen lachen sich an. Bei genauerer Betrachtung ist offensichtlich, dass es sich aufgrund grauer Schläfen und mäßig verborgener Falten um Mitte Vierziger handelt, kurz vor der Rente, aber nach dem die Kinder endlich das Haus verlassen haben, so vital wie nie zuvor. Endlich! Sie können nach 20 Jahren der Kinderplage ihr Leben geniessen, dass nachholen, was sie doch so lange verpasst haben, auf was sie doch so ewig verzichten mussten. Wozu denn zwischen zwanzig und dreissig das Leben geniessen? Trinken, rauchen und tanzen? Feiern? Am S-Bhf Ostkreuz nach durchzechter Nacht frühstücken? Experimentell den Partner wechseln? Alles Unsinn. Mit vierzig kann man viel mehr. Zum Beispiel die Metropolenregion Rhein-Neckar mit seinen Dörfern und Kleinstädten erkunden. Da weiß man wenigstens worauf man so lang verzichtet hat, was man investiert hat und vor allem warum nur die Hälfte der Zeit der Singles und Kinderlosen hatte. Jetzt kann man Städte besuchen und das Leben in vollen Zügen geniessen. Wenn ich es mir recht überlege wird es dann langsam Zeit für ein Kind, denn diese unglaubliche Möglichkeit möchte ich mir nur ungern entgehen lassen. Meinte nicht eine bedeutende Person es gäbe zu wenig Kinder in Deutschland? Werde ich doch aktiv und mache mich zum Vater. Das erinnert mich an meine Zeiten als dedizierte Pflegekraft, Frau X, rüstige 94, meinte einmal zu mir: 'Herr Voigt, Herr Voigt, merken sie sich eines. Zu einem kommt schneller als zu einem neuen Mantel.' Na ja, da sieht man mal wie ihre Präferenzen liegen.

Kinder dieser Welt, ich werde euch vermehren. Moment, jetzt schon? Kein Rauchen mehr? Keine ausufernden Exzesse? Dann, ja dann, mit dreissig. Das reicht ja auch noch. Mit Fünfzig sollen die Metropolen auch schön sein, sagt man.