18 April 2006

Eine Bahnfahrt

Donnerstag, 13.04.06 der kon fährt Bahn. Nein, nicht wie gewöhnlich mit der U-Bahn oder gar mit der S-Bahn, sondern mit der Deutschen Bahn. Um genau zu sein mit einem ICE (Intercityexpress). Ein Abenteuer sondergleichen, von dem ich gern berichten möchte.

Es begann am Montag drei Tage vor besagter Fahrt, ich gehe auf die geschätzte Seite bahn.de um dort meine Buchung vorzunehmen. Start und Ziel eingetragen, Berlin Ostbahnhof nach Walldorf-Wiesloch. Die erste Überraschung, es gibt etliche Verbindungen, doch alle beginnen in Berlin-Stadtbahnhof. Wie was? Fahr ich nun vom Ostbahnhof oder vom Stadtbahnhof oder gar nicht? Hmm, wird wohl dasselbe sein hoffen wir das Beste. So Start um 9.26 klingt gut, bin ich ja dann schon 15.29 in Walldorf, Rückfahrt, die frühste um 18.29 dann ist man schon um 0.33 wieder in Berlin. Auch gut, so Reservierungen, habe einen Laptop dabei also her mit dem Tischplatz in Hoffnung auf eine Steckdose, Nichtraucher klingt gut. Noch ein Häkchen hier und da und auf Buchen geklickt. Aber was ist das? Ihre Reservierung ist leider nicht möglich? Oh. Gut zurück, nächste Reservierungskombination ausprobiert. Auch nicht. Noch mal. Wieder nichts. Noch mal. Wieder nicht. Hey! Noch mal. Für den reservierungspflichtigen Zug sind keine Reservierungen verfügbar? Auweia. Was nun? Weder das eine noch das andere scheint möglich, wird nichts aus meiner kleinen Fahrt? Na gut, dann wieder zum Anfang und diesmal komplett ohne Reservierungen. Geschafft. Dann noch das schöne Onlineticket ausgedruckt und die Fahrt kann beginnen.

Richtig, dem aufmerksamen Leser ist aufgefallen, dass ich für ein einstündiges Gespräch ganze 12 Stunden fahre, ja so groß kann Deutschland sein. Es kam der Donnerstag, um sieben steht man völlig verschlafen auf und fragt sich warum man überhaupt das Ganze angehen will. Dann aber weiß man es, für sich natürlich. Kurz blitze vor meinen Augen ein Spruch auf: 'Du bist Deutschland.' Na danke, wenn das bedeutet um sieben aufzustehen und zwölf Stunden zu fahren, dann möchte ich nicht Deutschland sein. Schnell ein Kaffee getrunken, die Sucht befriedigt (nein ich spritze nicht oder nehme Tablette - obwohl das wäre mal...wie auch immer) und schon auf zum Bahnhof. Pünktlich eingetroffen, der Zug und ich bereit für die gemeinschaftliche Unternehmung. Zweite Klasse hält im hinteren Bereich, ist ja auch die zweite Klasse, der letzte Wagen ist wohl das Beste, denn das gehobene Alter wird wohl kaum so weite Wege auf sich nehmen. Im Wagen wurde mir mein Fehler bewusst. Der letzte Wagen ist der Raucherwagen. So schlimm roch es dort aber nun auch nicht, die Luft war fast frisch und es gab jede Menge freie Plätze im Großraum. Zur Ergänzung, der Nichtraucher war voll. Wir waren zu viert, die Wände und Vorhänge angenehm gelb gefärbt und die Sitze weich. Kaum das der Zug angefahren war holten die ersten drei ihre Zigaretten heraus und begannen sie zu genießen. Genießen? Ein Mann mit tiefen Falten und aschfahler Haut sog an dem armen Papierröhrchen als wenn es um sein Leben ging, nach weniger als einer Minute war sie hinüber. Gut, also holte er sogleich die zweite hervor. Langsam wurde die Luft schlechter, als Mann wollte ich denen in nichts nachstehen, also gönnte auch ich mir eine. Komischerweise regte sich ein leichtes Würgen in meiner Kehlkopfgegend. Berlin Zoo und Spandau stiegen weitere zu, die Abteile füllten sich langsam, auch die passionierten Raucher vermehrten sich fröhlich. Interessant war, dass viele noch auf dem Bahnsteig eine geraucht hatten und kaum, dass sie saßen, die nächste entzündeten. Neben mir ließ sich eine Dame nieder, ja ich hätte mich gefreut, wenn diese Dame wirklich eine Dame gewesen wäre. Nahe den 60, tiefgelbe Finger, ebenso braune Fingernägel von tiefen Furchen durchzogen. Die Last des Alters und die tiefe Ergebenheit gegenüber dem Nikotin hatten sie entstellt, förmlich verunstaltet. Sie nahm ihre modisch schwarze Tasche an sich und präsentierte mir zwei Schachteln Golden American 25, die Big Box. Mir schwante Übles, sie nahm eine heraus und steckte sie zwischen ihre grauen Lippen. Langsam quoll der blaue Dunst zwischen ihren trocken, gerissenen Falten hervor. In der anderen Hand hielt sie ihr Mobiltelefon und versuchte ob des Rauches etwas zu erkennen. Die Schwaden quollen zu mir herüber, hinter mir rauchten drei (ich habe es nachgezählt) und gegenüber nochmals vier. Machte also acht Raucher. Langsam breitete sich ein Druck in meinem Kopf aus. Die Luft wurde knapp, ich hatte langsam aber sicher das Gefühl zu ersticken. Ich musste hier weg, freundlich fragte ich die halbtote Nikotinmumie, ob ich mal kurz an ihr vorbei dürfte. Durch die Schwaden lächelten mich braune Zahnstümpfe an (ich nahm mir vor weniger zu rauchen, das ist doch kein menschenwürdiges Ende) und krächzten hustend: 'Gern, junger Mann. Sie geben jetzt schon auf?' Aha! Sie wollte mich bei der Ehre packen, meinen Ehrgeiz wecken und mich dazu verführen noch länger ihre Folter zu ertragen. Mit fester Stimme sagte ich: 'Sicher.'

Ich nahm meine Habseligkeiten und suchte einen Platz, im Nichtraucherabteil war nichts zu holen, aber es gab noch im Raucherwagen drei kleine Sechserabteile, meine Rettung. Ich fragte verhalten: 'Entschuldigung, wird hier auch so übermäßig viel geraucht?' Ein Mann Mitte vierzig in Holzfällerhemd welches seinen dicken Bauch formschön betonte, welcher wiederum von einem Ledergürtel mit breiter Schnalle gehalten wurde, meinte lachend dem wäre so, nur er scherze. Zwei junge Mädchen, die eine hübsch die andere hatte ich nicht wirklich wahrgenommen (sie war nicht hübsch) und der Kumpan des Bäuchlings boten mir freundlich den Platz an. Ich setzte mich und erklärte mein Verhalten mit Verweis auf das Raucherurgestein - ein Fehler.

Der Bäuchling begann nun mir seine Lebensgeschichte aufzudrängen. Er war ein Lebemann, ein Künstler und was weiß ich noch alles. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass er unter anderem das Trackingsystem von UPS erfunden hatte, an Windows 32 (was auch immer es sein sollte) mitprogrammiert hatte und dazu auch gleich die Plastikdiskette erfunden hatte. Was für ein Mann! Komisch nur, dass er nicht wirklich die Aura des Erfolgs ausstrahlte. Aber es kam noch besser, auf die Frage was ich dich tun würde und ich meinte: 'Student'. Er: 'Ja aber was?' - 'Informatik und Volkswirtschaft so als Nebenfach. Ach ja und ich bin auch noch Karrierist.' - 'Ich sehe Geld!' - 'Äh Geld? In mir?' - 'Ja, schade das ich meine Karte nicht dabei habe.' Ja sehr schade dachte ich und seufzte innerlich vor Erleichterung. Der bauchige Lebemann hatte aber noch mehr auf Lager, erzählte vom P1 (die Hübsche erklärte mir das wäre eine Pseudo-Promi-Disko in München) und seinen Treffen mit den Wichtigen und Schönen der Welt. Nur ein Beispiel - Thomas Gottschalk! Natürlich, das erregt mich auch sehr, wenn er dieses Relikt der Öffentlich-rechtlichen getroffen hat. Aber er wollte nicht enden, im Flugzeug hatte er Sky Dumont getroffen! Ach? Da wurde ich natürlich erst recht neidisch, dann aber auch noch Barbara Schöneberger! Soso. Beide wollten natürlich neben ihm und seinem Bauch sitzen. Die Frau Schöneberger erzählte warum sie lange Röcke trägt und die Beine seitlich hält, denn ansonsten würden die Männer immer versuchen einen Blick zu erhaschen (dreckiges Gelächter vom Bäuchling). Nein sagte ich, das ist ja unvorstellbar. Nun musste ich aber auch wissen, was unser Lebemann mit Bauch denn selbst so trieb. Auf die Frage meinte er: 'Selbstständig. Wir sind ein international agierendes Unternehmen. Wir operieren in England, Holland, Spanien, Frankreich, Polen, Russland, Tschechien. Flexibel, kostengünstig und zuverlässig.' Daraufhin ich: 'Ach? Und mit welchem Fokus?' - 'Einzelfahrzeugüberführung.' Oha, ich musste grinsen.

Wir erreichten Braunschweig und die beiden dynamischen Fahrzeugführer mussten uns verlassen, kurz erzählten mir die beiden Damen aus Stuttgart von sich, ich von mir. Dann schliefen sie ein. Ich langweilte mich, eine Steckdose gab es nicht, eine Rückfahrt stand noch an, Film kucken ging auch nicht. Ich wurde ungehalten und rannte durch den Zug. Zwei Damen und drei Herren rempelte ich an. Auch nicht gerade spannend. Endlich erreichten wir Mannheim, ich wünschte viel Spaß in Stuttgart, sie mir in Heidelberg, na ja war ja fast richtig.

In Mannheim holte ich mir ein köstliches Fleischgericht, ein Ciabattaburger aus dem Hause McDonalds und wartete auf die S-Bahn. Während des Rauchens fiel mir eine junge Dame auf, sie war wohl ungefähr 14 oder 15 Jahre alt trug Jeans - komplett. In der Hand hielt sie ein modisch silbernes Klapphandy und telefonierte. Eine viertel Stunde kam die S-Bahn, sie telefonierte immer noch. Wir setzten uns, zufälligerweise gegenüber, sie telefonierte. Geschäfte womöglich Drogen dachte ich. Die Jugend fängt ja meist schon in dem Alter an - Heroin, Kokain, Ecstasy ist ja alles drin bei den jungen Dingern. Ja auch du bist Deutschland dachte ich als ich die Göre sah. Deutschland ein Land der Raucher und minderjährigen Drogendealer und Fahrzeugüberführern - stimmt mich optimistisch. Mit piepsiger Stimme erzählte sie etwas wie: 'Ja, ne. Die Jessy machts ja auch mit dem Headset. Ja ne. Hmmm. Nee, mir is das peinlich. Is doch - hmm. Ja. Heut Abend? Ja, Ice Age 2 - voll cool und lustig. Ja, hmm.' So gings 10 Minuten weiter mit dem Telefonieren. Dann makelte sie nahm das nächste Gespräch an: 'Heut Abend. Halb Sieben ja. Bei Marie, ja hmmm. Zwei Flaschen? Nee, hol mal 3.' Aha Cola also, Fante vielleicht sogar Sprite? Wasser, Apfelsaft oder sind sie mutig und trinken Kindersekt? 'Ja nimm ma den billigen Wodka.' Deutschland, auch du bist Deutschland - ich will nicht Deutschland sein. Dreimaliges Makeln später legte sie auf. Man beachte, vermutlich 35 Minuten endlose Gespräche am Mobiltelefon. Vier Anrufe und alles drehte sich um Ice Age 2 und Wodka und das mit 15. Der alte Mann neben mit taxierte mit seinem Blick das junge Ding und mir wurde so einiges klar.

Walldorf-Wiesloch, da war er, der S-Bahnhof. Endlich. Zügig stieg ich aus und erreichte meinen Bus. Man stellt sich nun die Frage, was will der kon denn dort? Warum fährt er nur den ganzen Tag Bahn? Was ist in Walldorf passiert? Wie war die Rückfahrt? Und was kann noch alles Deutschland sein? Dazu später mehr.

1 Kommentare:

  • Zu Anfang fühlte ich mich ob der Textlänge erschlagen, aber nein, es liest sich. Nur diese elenden Spannungsbögen, erzeugt durch billiges Abbrechen der Erzählung...
    Ist dir eigentlich aufgefallen, dass man da unten, im Süden Deutschlands, die obere Kleidung (ausgenommen Jacken, Anoracks und Jacketten) in Knopfgegend unter die Gürtelschnalle klemmt? Solche Menschen sind auch Deutschland!

    Mit Grüßen auf das Ende der Handlung wartend,
    Herr :kemmis

    Von Blogger :kemmis, bei 19 April, 2006 19:06  

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